by Nina Terp
Das neue Hochspannungs-Umspannwerk im süddeutschen Burladingen wird das weltweit erste sein, das ökoeffizient ist, ohne SF6 betrieben wird und mit neuen vernetzten und intelligenten Geräten digitalisiert ist. „Das ist die Zukunft“, sagen die Planer und künftigen Betreiber.
Auch die Verteilernetzbetreiber sind von den großen Trends unserer Zeit betroffen. Zum einen stellt die zunehmend volatile Stromerzeugung eine Herausforderung für die Übertragungs- und Verteilnetze dar. Auch der Umgang mit der zunehmenden Elektromobilität ist eine große Herausforderung, insbesondere für lokale Netze. Und schließlich sehen die Betreiber in der Digitalisierung eine große Chance, ihre Systeme zu verbessern: Automatisierte Prozesse auf Basis umfassender Datentransparenz sind der Schlüssel, um die ökologische und ökonomische Effizienz sowie die Versorgungssicherheit auf ein neues Niveau zu heben.
Was das genau bedeutet und wie es in Zukunft funktionieren wird, zeigt ein besonderes Pilotprojekt in Burladingen in Süddeutschland. Für die Netze BW GmbH, einen großen deutschen Verteilnetzbetreiber, baut Siemens Energy ein neues modernes, umweltfreundliches und digitalisiertes Umspannwerk. „Mit diesem Umspannwerk werden wir Burladingen und die umliegende Region noch enger und zuverlässiger an das überregionale Stromnetz anbinden. Gleichzeitig machen wir uns fit für die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien und die Verbreitung der Elektromobilität“, erklärt Netze BW-Projektleiter Torge Andersen. Der neue Umspannwerksknoten wird eine installierte Leistung von 80 Megavoltampere (MVA) und 110 Kilovolt (kV) haben. Der Bau des Projekts begann Ende 2020, die Inbetriebnahme ist für 2022 geplant.
Was ist hier das Besondere? „Das neue Umspannwerk in Burladingen ist die weltweit erste Anlage, die Ökoeffizienz und Digitalisierung in dieser Größenordnung verbindet“, erklärt Marcel Engel, Netze BW-Experte für Netzentwicklung. Konkret wird die neue Hochspannungsanlage zum einen komplett auf das Isoliergas Schwefelhexafluorid (SF6) verzichten und damit besonders umweltfreundlich und treibhausgasfrei sein. „Zweitens setzen wir auf Vakuum-Leistungsschalter, die wir seit zwei Jahren als erster Kunde weltweit einsetzen, und innovative platzsparende Kleinleistungs-Messwandler“, so Engel weiter. „Und drittens werden alle Signale und Messwerte aus dem Umspannwerk voll digitalisiert von einem Prozessbus über Glasfaserkabel an die Schutz- und Steuerungssysteme übertragen, was den Einsatz von Ressourcen wie Kupfer reduziert. Diese Kombination ist unser Weg zum Umspannwerk der Zukunft.“
Der Innovationsgrad bei diesem Projekt ist sehr hoch. Das Umspannwerk der Zukunft ist für uns ein mutiger Schritt, der Vertrauen erfordert.
Marcel Engel
Experte für Netzentwicklung bei Netze BW
Siemens Energy ist als Generalunternehmer für die Planung, Lieferung, den schlüsselfertigen Bau und die Inbetriebnahme des Umspannwerks verantwortlich. Das Unternehmen liefert alle im Umspannwerk verwendeten Produkte und integriert innovative Technologien vollständig in das Projektkonzept. „Solche technologisch hochintegrativen Projekte können nur in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden erfolgreich durchgeführt werden“, sagt Mathias Reumann, der bei Siemens Energy für das schlüsselfertige Umspannwerk zuständige Projektleiter. „Mit Netze BW haben wir dafür eine starke Partnerschaft aufgebaut, und der Informationsgewinn für beide Seiten ist enorm.“ Siemens Energy liefert nicht nur die komplette Mittelspannungsanlage des Umspannwerks, sondern auch fünf für 110 kV ausgelegte Schaltanlagenfelder 8VN1 mit Kleinleistungsmesswandlern und Zusammenführungseinheiten, zwei 40-Megavolt-Ampere-Leistungstransformatoren, 14 Überspannungsableiter und drei Lichtbogenlöschspulen.
Die gesamte Schutz- und Leittechnik des Umspannwerks basiert auf Siprotec 5 und Sicam sowie auf der Prozessbustechnik des Unternehmens. Ein weiteres Highlight: Durch die Integration von Sensgear®-, Sensformer®- und Senscoil®-Systemen werden die intelligenten Sensoren an allen Komponenten bereits im Werk vormontiert und geprüft. Sie erfassen alle relevanten Produktbetriebsdaten wie Öldruck und Temperatur der Transformatoren sowie Gasdruck, Temperatur und Anzahl der Schaltspiele. Wie die gesamte Technik des Umspannwerks haben auch die eingebauten Sensoren eine Lebensdauer von rund 40 Jahren.
Siemens Energy setzt in dem Umspannwerk verschiedene Produkte aus dem sogenannten Blue Portfolio des Unternehmens ein. Diese Produkte kommen komplett ohne SF6 aus. Dieses fluorierte Gas ist ein hochwirksames Schalt- und Isoliermedium, das traditionell in der gesamten Industrie eingesetzt wird: Seine hervorragenden chemischen und elektrischen Eigenschaften ermöglichen die Konstruktion kompakter und wirtschaftlicher Umspannwerke. SF6 ist jedoch ein Treibhausgas, das, wenn es in die Atmosphäre entweicht, einen Einfluss auf den Klimawandel haben kann. „Unsere Spezialisten gehen natürlich äußerst vorsichtig mit dem Gas um“, betont Engel. Gleichzeitig suchen sowohl Betreiber als auch Hersteller nach Alternativen, um das fluorierte Gas in neuen Anlagen nach und nach durch umweltfreundlichere und ebenso effiziente Schalt- und Isolieralternativen zu ersetzen. Engel: „Als Netze BW glauben wir an den Wandel zur SF6 -freien Schaltanlagentechnik und unterstützen dieses Ziel seit Jahren. Mit angemessenen Übergangsfristen und starken Partnerschaften zwischen Herstellern und Betreibern werden wir es schaffen. Davon bin ich überzeugt.“
Statt auf SF6 setzen die alternativen Produkte des Blue Portfolios auf technisch aufbereitete und gereinigte Luft („Clean Air“) in komprimierter Form. Seit 2018 arbeitet die Industrie mit sauberer Luft im Hochspannungsbereich. Für das wegweisende Umspannwerk Netze BW Nördlingen hat Siemens Energy seine neuen Freiluft-Leistungsschalter mit Vakuum-Schalttechnik sowie einen mit Clean Air isolierten kombinierten Spannungs- und Stromwandler geliefert und installiert - weltweit zum ersten Mal in einem 110-kV-Hochspannungsnetz. „Wir haben in Nördlingen bereits sehr gute Erfahrungen mit der Kombination von Reinluft- und Vakuumschalttechnik gemacht. Im Umspannwerk Burladingen gehen wir nun einen Schritt weiter und freuen uns, dass wir wieder mit unserem erfahrenen Partner Siemens Energy zusammenarbeiten“, sagt Engel.
Auch Netze BW hat sich für eine weitere innovative Technologie von Siemens Energy entschieden: In Burladingen kommen Low-Power-Instrument-Transformer (LPIT) zum Einsatz. Die Innovation: Sie nutzen Rogowski-Spulen zur Messung des Stroms und eine elektrische Feldsonde mit kapazitivem Prinzip zur Messung der Spannung in der gasisolierten Schaltanlage (GIS). Zusammen werden sie in konventionellen GIS-Gasraum-Gießharzschottungen eingesetzt. Sie bieten eine sehr kompakte Lösung für die präzise und sichere Messung von Strom und Spannung.
Und das ist noch nicht alles, was an Innovationen möglich ist. Ein Kabel überträgt die analogen Signale von der Unterstation zur Zusammenführungseinheit, die sich in der Nähe des Konverters befindet. Diese Einheit erfasst, digitalisiert und analysiert die Messwerte. Mit einem Prozessbus werden die Daten dann über ein LWL-Ethernet-Kabel über eine Strecke von etwa 100 Metern zur baulich getrennten Station und Steuerung übertragen. Dieses Verfahren entspricht der Norm IEC 61850, die das allgemeine Übertragungsprotokoll für Schutz- und Steuerungssysteme in elektrischen Schaltanlagen definiert. Die Schutzrelais arbeiten bei diesem Projekt nicht mehr mit analogen Werten, sondern nutzen direkt digitale Werte aus dem Datenstrom der Messwerte. Dieser innovative Übertragungsweg ist zudem kostengünstig. „Durch den Einsatz eines Glasfasersystems für die interne Datenübertragung im Umspannwerk Burladingen entfallen die vielen Kupferkabel, die normalerweise für die Übertragung analoger Signale zum Schutz- und Leitsystem benötigt werden“, erklärt Engel. Das Unternehmen rechnet damit, dass es mit dieser Lösung 850 Kilo Kupfer einsparen wird.
Engel fasst zusammen: „All das macht Burladingen aus unserer Sicht zu einem der innovativsten Umspannwerke der Welt. Das Umspannwerk der Zukunft ist für uns ein mutiger Schritt, der Vertrauen erfordert. Wir haben schon heute viele Anlagen von Siemens Energy in Betrieb. Seit Jahrzehnten. Wir wissen die Partnerschaft zu schätzen.“
Oktober 2021
Nina Terp arbeitet als freiberufliche Wissenschafts- und Technikjournalistin in Deutschland. Ihre Arbeiten wurden in einer Reihe von deutschen und internationalen Fachmedien veröffentlicht.
Kombinierter Bild- und Videonachweis: Martin Friedrich