by Christopher Findlay
Das wachsende Interesse an Wasserstoff veranlasst Planer, die Wiederverwendung bestehender Gaspipelines und anderer Infrastrukturen für den Transport und die Speicherung in Betracht zu ziehen. In Deutschland, einer Schlüsselregion des europäischen Energiesystems, testen Experten die Parameter für den sicheren Betrieb eines integrierten Wasserstoffnetzes.
Die „Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa“ der EU vom Juli 2020 ist nur das jüngste in einer Reihe von Programmen, die den Einsatz von Wasserstoff zur Dekarbonisierung und Integration des Energiesystems fördern sollen. Die G20, Deutschland und Japan haben ebenfalls Interesse an der Entwicklung dieser Technologie bekundet. Kürzlich untersuchte ein von den deutschen Pipeline-Betreibern Nowega und Gascade sowie Siemens Energy gemeinsam erstelltes White Paper die praktischen Aspekte der Umrüstung von Erdgaspipelines als Pfeiler einer künftigen wasserstoffbasierten Energiewende.
Neben dekarbonisiertem Wasserstoff aus Erdgas können sowohl grüner Wasserstoff, der mit Hilfe von Elektrolyse aus regenerativem Strom erzeugt wird, für die Sektorkopplung („Power-to-X“) und die Speicherung erneuerbarer Energien im großen Stil genutzt werden.
Grüner Wasserstoff wird aufgrund der sinkenden Kosten für erneuerbare Energien und für Elektrolyseure immer wirtschaftlicher. Die Verknüpfung aller Elemente des Energiesystems mit Wasserstoff verspricht mehr Effizienz, geringere Kohlenstoffemissionen und eine höhere Robustheit der Energiesysteme während gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Ein Vorteil ist in diesem Zusammenhang, dass die Erdgasinfrastruktur mit geringfügigen Änderungen für den Transport und die Speicherung von Wasserstoff wiederverwendet werden kann.
Wasserstoff kann als Gas in Hochdruckbehältern, als Flüssigkeit in thermoisolierten Behältern, in aufbereiteter Form als Methanol oder Ammoniak oder in einem chemischen Trägermedium transportiert werden. Die bei weitem wirtschaftlichste Methode ist jedoch der Transport über Pipelines, wo eine sehr hohe Energietransportkapazität erreicht werden kann.
Das Stromübertragungsnetz ist ein wichtiges Rückgrat für den länderübergreifenden Transport von erneuerbaren Energien. Im Idealfall wird es durch das Gasnetz ergänzt: Eine Standardpipeline kann bis zu zehnmal so viel Energie übertragen wie eine 380-Kilovolt-Doppel-Freileitung mit einer Leistung von 1,5 Gigawatt, und das zu etwa einem Vierzehntel der spezifischen Kosten. Doch wie viel Aufwand wäre nötig, um die bestehenden Infrastrukturen für die Nutzung von Wasserstoff umzurüsten?
Mit einer dichten, flächendeckenden Leitungsinfrastruktur für Erdgas, die im Herzen des europäischen Energiesystems und des Fernleitungsnetzes liegt, bietet das deutsche Gassystem einzigartige Möglichkeiten, um herauszufinden, wie eine möglichst wirtschaftliche Umstellung der Gasinfrastruktur auf Wasserstoff funktionieren könnte.
Die bestehende Gasinfrastruktur ist für die EU-Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa von sehr hohem Wert.
Christoph von dem Bussche
Geschäftsführer, Gascade
Mit über 40.000 Kilometern Ferngasleitungen und mehr als 470.000 Kilometern Verteilernetz ist das deutsche Erdgasleitungssystem sehr gut ausgebaut. Als wichtiges Transitland für Gaslieferungen an seine Nachbarn verfügt Deutschland zudem über die größte Speicherkapazität aller EU-Mitglieder mit einem Arbeitsgasvolumen von rund 26,7 Milliarden Kubikmetern und einer Infrastruktur, die gut an den übrigen europäischen Gasmarkt angebunden ist, was es zu einem potenziellen Eckpfeiler eines nachhaltigen und sicheren Wasserstoff-Energiesystems macht.
Christoph von dem Bussche ist der Geschäftsführer von Gascade, einem deutschen Gaspipeline-Betreiber, der ein rund 2.900 Kilometer langes Transportsystem verwaltet, das über große europäische Transitpipelines mit Russland und den Nordseehäfen verbunden ist. „Die bestehende Gasinfrastruktur ist für die EU-Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa von sehr hohem Wert“, sagt er. „Der Aufbau einer neuen Infrastruktur braucht vor allem viel Zeit. Mit der bestehenden Infrastruktur können wir die angestrebten Klimaziele viel schneller erreichen. Zweitens ist die Nutzung bestehender Pipelines sehr kosteneffizient und kann die zukünftigen Energiepreise niedrig halten.“
Sind die für Erdgas ausgelegten Rohrleitungen und Komponenten mit einer Umstellung auf Wasserstoff vollständig kompatibel? Welche Änderungen sind, wenn überhaupt, erforderlich?
Unter Standardbedingungen hat Methan den dreifachen Heizwert von Wasserstoff. Umgekehrt weist Wasserstoff mit seiner geringeren Dichte in Rohrleitungssystemen eine bis zu dreimal höhere Fließgeschwindigkeit auf als Methan. Das bedeutet, dass dieselbe Pipeline in einem bestimmten Zeitraum bei gleichem Druck dreimal so viel Wasserstoff transportieren kann, während die Energietransportkapazität nur geringfügig kleiner ist.
Ein weiterer Faktor ist die Integrität der Stahlrohre und -formstücke. Abhängig von der Qualität des Stahls und der möglichen Einwirkung von atomarem Wasserstoff kann die Versprödung die Ausbreitung von Rissen beschleunigen und die Lebensdauer der Pipeline um 20 bis 50 Prozent verringern. Dies ist jedoch nur dann wahrscheinlich, wenn die Rohrleitung bereits Risse aufweist und aufgrund des schwankenden Innendrucks dynamischen Belastungen ausgesetzt ist, während sie gleichzeitig atomarem Wasserstoff ausgesetzt ist. Das Zusammentreffen aller drei Faktoren scheint jedoch unwahrscheinlich: Unter normalen Betriebsbedingungen dürfte es kaum Lastwechsel geben, und es wird nur molekularer Wasserstoff (H2 ) transportiert.
Es ist wichtig, die konkreten Rahmenbedingungen als Grundlage für die Entwicklung von grünem Wasserstoff als grundlegendes Element der Energiewende zu schaffen.
Frank Heunemann
Geschäftsführer, Nowega
Dennoch sind einige Anpassungen erforderlich. Um den Wasserstoff auf den Betriebsdruck der Pipeline zu verdichten, sind entlang der Strecke Verdichterstationen erforderlich. Wenn Wasserstoff mit Methan gemischt wird und die bestehenden Kompressoren für Erdgas beibehalten werden, müssen je nach Wasserstoffbeimischung einige Teile angepasst werden. Wenn der Wasserstoffanteil 40 Prozent übersteigt, müssen die Kompressoren ausgetauscht werden. Eine vollständige Umstellung auf eine 100-prozentige Wasserstoffpipeline erfordert die Installation neuer und größerer Turbinen oder Motoren und leistungsstärkerer Kompressoren, um den im Vergleich zu Erdgas dreifach höheren Volumenstrom von Wasserstoff zu fördern.
Da große Meilensteine einer solchen groß angelegten Wasserstoff-Energiewende in Deutschland nicht vor 2030 zu erwarten sind, werden bereits erste Pilotprojekte zur Umstellung bestehender Pipelines auf Wasserstoffbetrieb erwogen, und die Wasserstoffinfrastruktur sollte parallel zu den bestehenden Gasanlagen aufgebaut werden. In Norddeutschland wird das Ferngasnetz durch ausgedehnte, für Wasserstoff geeignete unterirdische Speicheranlagen ergänzt. Diese Aquifer- und Kavernenspeicher machen fast ein Viertel der europäischen Gasspeicherkapazität aus – günstig gelegen in der Nähe der großen Häfen und Offshore-Windparks an der Nordseeküste.
Eine Umstellung auf ein wasserstoffbasiertes Energiesystem ließe sich relativ schnell und mit nur geringen Anpassungen der bestehenden Verkehrsinfrastrukturen und -geräte erreichen. In Deutschland haben sich eine Reihe von Unternehmen und Institutionen in der GET H2-Initiative zusammengeschlossen, um einen wettbewerbsfähigen Wasserstoffmarkt zu schaffen und die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen anzupassen. Eines dieser Unternehmen ist Nowega, ein Fernleitungsnetzbetreiber von rund 1.500 Kilometern Erdgashochdruckleitungen. Nowega-Geschäftsführer Frank Heunemann ist der Meinung, dass die deutsche Wasserstoffstrategie die richtigen Prioritäten gesetzt hat. „Jetzt kommt es darauf an, die konkreten Rahmenbedingungen als Grundlage für die Entwicklung des grünen Wasserstoffs als grundlegendes Element der Energiewende zu setzen“, sagt er.
Während Subventionen dazu beitragen können, dass die ersten Schritte zur Umsetzung wirtschaftlich machbar sind, bedarf es stabiler politischer Vorgaben, damit wettbewerbsfähige Unternehmen diesen Markt langfristig entwickeln können, meint Heunemann: „Um Projekte im industriellen Maßstab unter Nutzung der bestehenden Gasinfrastruktur zu realisieren, müssen baldmöglichst die rechtlichen Grundlagen für den Wasserstofftransport im Energierecht geschaffen werden. Nur auf dieser Basis können die Unternehmen langfristig verlässlich in die Entwicklung investieren.“ Während die Voraussetzungen in Ländern wie Deutschland besonders günstig sind, weist die EU in ihrem Strategiepapier darauf hin, dass auch andere Mitgliedstaaten durch die Wiederverwendung von Pipelines und Speichern den Investitionsbedarf senken können.
Wenn eine solche Umnutzung in Europa möglich ist, gibt es keinen Grund, warum sie nicht auch in anderen Ländern, die über eine geeignete Infrastruktur verfügen, machbar sein sollte. „Eine Umstellung der bestehenden Gasinfrastruktur auf Wasserstoff unterstützt die zukünftige nachhaltige Energieversorgung mit vertretbarem wirtschaftlichen Aufwand. Und auch die Nutzung bestehender Infrastruktur für neue Zwecke ist im Sinne einer Kreislaufwirtschaft sinnvoll“, so Gascade-Geschäftsführer von dem Bussche.
Investitionen in die Wasserstofftechnologie werden nicht nur den Regierungen helfen, ihre Klimaziele zu erreichen, sondern bieten auch die Möglichkeit, in einem schwierigen globalen Klima die Wirtschaft wieder anzukurbeln und gleichzeitig einen Vorsprung in der sauberen Technologie zu bewahren. Die Umwidmung von Gaspipelines für den Transport von Wasserstoff ist ein realistischer Weg zu einer vernünftigen Energiepolitik, zum Schutz der Umwelt und zum wirtschaftlichen Wohlstand.
11. September 2020
Chris Findlay ist Journalist und lebt in Zürich. Er schreibt unter anderem über neue Entwicklungen in Wirtschaft und Technologie.
Kombinierte Bildnachweise: Getty Images, Gascade, Siemens Energy
Die Gascade GmbH mit Sitz in Kassel betreibt ein rund 2.900 Kilometer langes Gastransportsystem, das direkt mit den großen europäischen Transitleitungen nach Russland und zu den Nordseehäfen verbunden ist. Gascade, früher bekannt als Wingas Transport GmbH, nahm seine erste Pipeline 1992 in Betrieb. Das Unternehmen verzeichnete 2018 einen Umsatz von rund 800 Millionen Euro.
Die Nowega GmbH ist ein deutscher Fernleitungsnetzbetreiber, der rund 1.500 Kilometer Erdgashochdruckleitungen als Teil des norddeutschen Netzes unterhält. Das Unternehmen mit Sitz in Münster ist Mitglied der Initiative GET H2, in der sich Unternehmen und Institutionen zusammengeschlossen haben, um einen wettbewerbsfähigen Wasserstoffmarkt zu schaffen und die notwendigen Anpassungen des rechtlichen und regulatorischen Rahmens vorzunehmen. Der Umsatz des Unternehmens lag 2019 bei 55 Millionen Euro.