by Tim Holt, Mitglied des Vorstands, Siemens Energy
Die Umstellung auf erneuerbare Energien ist entscheidend, um den Klimawandel zu bekämpfen. Aber ohne ein leistungsfähiges Übertragungsnetz, das den Strom dorthin bringt, wo er gebraucht wird, wird es nicht möglich sein, Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Die Energienachfrage steigt weltweit. Dies gilt insbesondere für erneuerbare Energien, da die Länder bestrebt sind, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, für eine bezahlbare Energieversorgung zu sorgen und Energiesicherheit zu gewährleisten. Technologien wie Wind-, Solar- und Wasserkraft liefern Strom für Haushalte, Unternehmen und Gesellschaften auf der ganzen Welt. Die neuesten Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) besagen, dass die Stromerzeugung bis 2030 – also in nur sieben Jahren – um 92 % über dem Niveau von 2020 liegen muss, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Es ist zwar wichtiger denn je, die Zahl dieser Projekte zu erhöhen, aber kann das derzeitige Netz die erneuerbaren Energien verkraften? Die Energiewende kann nur dann ein Erfolg werden, wenn die notendige Infrastruktur vorhanden ist: ein starkes Übertragungsnetz.
Konkret: Das Netz von heute ist nicht für die Zwecke von morgen geschaffen. Das bedeutet, dass wir unsere Übertragungsnetze ausbauen und modernisieren müssen. Andernfalls können die erneuerbaren Energien ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen. Man könnte die Stromerzeugung als das Herz des Energiesystems betrachten – und ein zuverlässiges und effizientes Übertragungs- und Verteilungsnetz als die Arterien und Venen. Es bringt den erzeugten Strom dorthin, wo er gebraucht wird, wenn er gebraucht wird, so dass Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden können.
Insgesamt schätzt Bloomberg New Energy Finance (BNEF), dass bis 2050 weltweit 152 Millionen Kilometer Stromleitungen benötigt werden, um den Netto-Nullpunkt zu erreichen. Das ist doppelt so lang wie das heutige Übertragungsnetz – und lang genug, um theoretisch bis zu Sonne zu reichen! Dies verdeutlicht, wie wichtig Investitionen in das Stromnetz sind und warum es ohne sie nicht möglich sein wird, Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Sunrise Wind vor der Küste New Yorks ist das erste Offshore-Windprojekt in den Vereinigten Staaten, bei dem die HGÜ-Technologie von Siemens Energy zum Einsatz kommt. Das Projekt wird 600.000 Haushalte mit grüner Energie versorgen.
Die gute Nachricht ist, dass eine beschleunigte und nachhaltige Energiewende weltweit die Nachfrage nach widerstandsfähigen Netztechnologien und der Speicherung erneuerbarer Energien antreibt: So will die EU bis 2040 eine neue Verbindungskapazität von 128 Gigawatt aufbauen, in China wird sich die Kapazität des Hochspannungsnetzes bis 2050 verdoppeln, und in den USA werden bis 2040 mehr als 35 Prozent der Netzanlagen ersetzt.
Eine der Schlüsseltechnologien für die Entwicklung eines leistungsfähigen Übertragungsnetzes ist die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Die HGÜ ermöglicht die effiziente Übertragung von Strom über große Entfernungen mit geringeren Verlusten als bei herkömmlichen Wechselstrom-Übertragungsleitungen. Diese Technologie wurde bereits in mehreren Großprojekten auf der ganzen Welt eingesetzt. Das Sunrise-Windprojekt vor der Küste New Yorks wird beispielsweise das erste Offshore-Windprojekt in den USA sein, bei dem die HGÜ-Technologie von Siemens Energy für die Windstromübertragung eingesetzt wird.
Verbindungsleitungen sind eine weitere wichtige Technologie, die dazu beitragen kann, eine nachhaltige Energiewende zu ermöglichen, indem erneuerbare Energieressourcen grenzüberschreitend genutzt werden. Zum Beispiel werden wir im Rahmen unseres NeuConnect-Projekt zwei der größten europäischen Energiemärkte, Deutschland und das Vereinigte Königreichüber eine Hochspannungsleitung unter der Nordsee verbinden. Dadurch kann genug Strom für 1,5 Millionen Haushalte zwischen den beiden Ländern übertragen werden.
Und mit der Umstellung des Stromnetzes auf eine stärker dezentralisierte Stromerzeugung, beispielsweise durch erneuerbare Energien, werden zusätzliche Technologien zum Lastausgleich und zur Bewältigung von Schwankungen der Stromfrequenz benötigt – beispielsweise Phasenschieber. Australien war ein früher Anwender dieser Technologie: Der südaustralische Netzbetreiber ElectraNet hat mehr als 50 Prozent erneuerbare Energien in seinem Übertragungsnetz. Dies stellt eine große Herausforderung für die Netzstabilität dar, da die Sonne nicht 24 Stunden scheint und auch der Wind nicht ständig weht. Um das Risiko eines Stromausfalls zu vermeiden, hat ElectraNet jetzt sein Umspannwerk in Robertstown mit zwei Phasenschiebern mit Schwungrädern ausgestattet, die helfen, plötzliche Frequenzabfälle sofort zu überbrücken.
Dies sind zwar gute Entwicklungen, aber um den Übergang zu erneuerbaren Energien wirklich voranzutreiben, müssen noch Hindernisse beseitigt werden. Zuallererst: Entscheidungen müssen schneller getroffen werden. Wir müssen die Komplexität in den Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich reduzieren.
Die IEA schätzt die durchschnittliche Vorlaufzeit für die Genehmigung und den Bau einer Freileitung in den USA und Europa auf 10 Jahre und für ein Unterseekabel auf etwa neun Jahre. Und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat in einer aktuellen Studie davor gewarnt, dass sich die Anzahl der erforderlichen Genehmigungen für neue Projekte zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in den nächsten acht Jahren verdoppeln könnte.
Deshalb brauchen wir einfachere und schnellere Genehmigungsverfahren sowohl für den Ausbau der Übertragungsnetze als auch für Investitionen in neue Stromnetze, um Engpässe zu beseitigen und die Infrastruktur zu stärken.
Erneuerbare Energien dienen nicht nur der Bekämpfung des Klimawandels. Sie erhöhen auch die Energiesicherheit, indem sie die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern. Ein gut konzipiertes Übertragungsnetz kann die Strompreise senken, indem es die Integration kostengünstigerer Energieressourcen wie erneuerbarer Energien in das Netz ermöglicht. Dies kann dazu beitragen, die Gesamtenergiekosten für Verbraucher und Unternehmen zu senken. Durch die effiziente Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien kann das Netz außerdem zur Verringerung der Kohlendioxidemissionen und zur Unterstützung der grünen Energiewende beitragen.
Wenn wir unseren derzeitigen Weg fortsetzen, werden die globalen Emissionen von heute 34 Gigatonnen pro Jahr bis 2050 auf 53 Gigatonnen ansteigen. Dies würde die globale Erwärmung verschärfen – und unseren Planeten bedrohen. Deshalb gibt es keine Alternative zur Umstellung auf erneuerbare Energien und zu einem nachhaltigen, erschwinglichen und zuverlässigen Energiesystem, das durch ein starkes Übertragungsnetz unterstützt wird. Nur wenn wir die Netto-Null-Ziele der Welt erreichen, können wir eine nachhaltige Zukunft für uns und künftige Generationen schaffen.
8. März, 2023
Kombinierter Bild- und Videonachweis: Siemens Energy