by Rolf de Vos
Viele Stromerzeuger glauben vielleicht, dass es ausreicht, die Brenner in Gasturbinen auszutauschen. Aber egal, ob ein altes Kraftwerk umgerüstet oder ein neues gebaut werden soll, es gehört mehr dazu, um wirklich H2-fähig zu sein. Von der Konstruktion bis zu den Marktanforderungen – hier sind zehn wesentliche Punkte, die beim Bau wasserstofftauglicher Kraftwerke zu beachten sind.
Da immer mehr Energie aus erneuerbaren Quellen stammt, schwankt das Stromangebot stark, je nach Sonnen- und Windverhältnissen. Die Stromnachfrage jedoch nicht. Grüner Wasserstoff (H2) gilt weithin als Möglichkeit, um diese Schwankungen auszugleichen. Und wie? Elektrolyseure, die mit überschüssigem Wind- oder Solarstrom betrieben werden, spalten Wasser in seine Grundelemente H2 und O auf und erzeugen ohne Kohlenstoffemissionen sogenannten „grünen“ Wasserstoff der in großen Mengen über lange Zeiträume gespeichert, dann transportiert, in andere alternative Brennstoffe umgewandelt oder zur Stromerzeugung in Turbinen verbrannt werden kann.
Die Infrastruktur und die Produktion von grünem Wasserstoff sind heute noch nicht verfügbar, doch sie werden kommen – zusammen mit neuen wirtschaftlichen Anreizen. In der Zwischenzeit kann die Umstellung von Kohle- auf Gaskraftwerke die Kohlenstoffemissionen um zwei Drittel senken. Gaskraftwerke – oder besser gesagt Gas- und Dampfturbinen (GuD)-kraftwerke – sind außerdem in der Lage, ihre Produktion schnell zu erhöhen (oder zu verringern), was sie für einen schnellen Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage unentbehrlich macht – eine entscheidende Voraussetzung in Energiesystemen, die immer stärker auf schwankende erneuerbare Energien angewiesen sind.
Was passiert also mit all diesen Anlagen, wenn der grüne Wasserstoff endlich in Betrieb geht und die Umstellung auf einen dekarbonisierten Kraftstoff obligatorisch wird? Diese Anlagen haben eine typische Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren. Werden all diese Anlagen wertlos sein? Nein, aber der Schlüssel liegt darin, sicherzustellen, dass sie H2 -tauglich sind. Die Anlagen werden wahrscheinlich auf die Verbrennung einer Wasserstoffmischung (bis zu 100 Prozent) umgestellt werden, was bedeutet, dass die Versorgungsunternehmen schon heute Vorkehrungen für eine kosteneffiziente Wasserstoffumrüstung von morgen treffen sollten.
Für das deutsche Energieunternehmen EnBW (Energie Baden-Württemberg AG), das als eines der ersten mit Siemens Energy ein 100-prozentiges Wasserstoffkraftwerk entwickelt hat, waren „Klimaneutralität und Kohleausstieg“ die wichtigsten Treiber, sagt Andreas Pick, Projektleiter Fuel Switch des Unternehmens. Die EnBW baut derzeit wasserstofftaugliche Gaskraftwerke, die 2025 in Betrieb gehen und bis 2030 auf Wasserstoffbetrieb umgestellt werden sollen.
„H2 tauglich ist nicht zu verwechseln mit H2 fähig“, sagt Erik Zindel, Vice-President of Hydrogen Generation Sales bei Siemens Energy. „H2 Tauglichkeit bedeutet, dass eine Anlage für die Umstellung auf Wasserstoff vorbereitet ist: Die Anlagen werden heute so ausgelegt, dass sie morgen auf 100 Prozent Wasserstoff umgerüstet werden können. Das spart Zeit und Kosten und stellt sicher, dass die Anlage so gebaut ist, dass sie schnell auf Wasserstoff umgestellt werden kann.“
„H2 Tauglichkeit beginnt mit einem Grundkonzept“, sagt Peter Seyller, Principal Key Expert Modularization bei Siemens Energy: „Wenn wir über den Bau einer neuen Anlage sprechen, dann müssen wir den Bauprozess auf eine Zukunft mit Wasserstoff ausrichten. Jeder Neubau muss spezifisch auf die Anforderungen des Kunden zugeschnitten sein.“
H2 ist mehr als nur die Möglichkeit, die Brenner von Gasturbinen auszutauschen. Turbinen wie die SGT-600, 700 oder 800 sind bereits in der Lage, bis zu 75 Volumenprozent Wasserstoff zu verbrennen. Dennoch braucht es Vorkehrungen für die Brenngasversorgung, den zusätzlichen Platzbedarf der Anlage, Brand- und Explosionsschutzkonzepte, Änderungen bei der Emissionskontrolle sowie die Beschaffung von Wasserstoff.
Viele dieser Maßnahmen haben sich bewährt und können bereits beim Bau der Anlage zum Einsatz kommen, z. B. größere, H2 -resistente Brenngasrohre, Brandschutz- und Belüftungssysteme sowie eine geeignete elektrische Ausrüstung. Später, wenn grüner Wasserstoff verfügbar ist, wird eine Nachrüstung neue Brenner und zusätzliche Systeme wie eine Mischstation, Wasserstoffdetektoren, Inertisierungs- und Überwachungssysteme umfassen. „Diese Nachrüstung“, so Zindel, „kann einige Wochen bis zu zwei Monate dauern und würde im Rahmen einer Generalüberholung durchgeführt.“
Das heißt aber nicht, dass nicht noch Unwägbarkeiten im Spiel sind: „Wir liegen mit dem Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur in Süddeutschland auf einer Linie, aber ob sie tatsächlich in diesem Zeitrahmen kommt, kann niemand mit Sicherheit sagen", sagt Andreas Pick von der EnBW. „Und die Vorschriften für den Betrieb eines Vollwasserstoffkraftwerks sind auch noch nicht vorhanden. Das sind Dinge, die wir in den Gesprächen mit Siemens Energy berücksichtigen mussten.“
Wasserstoff und Erdgas (das hauptsächlich aus Methan besteht) verhalten sich bei der Lagerung und beim Transport ganz unterschiedlich. Wasserstoff hat auch andere Verbrennungseigenschaften, da die Flammentemperaturen fast 300 °C höher sind als bei Methan. Seine laminare Flammengeschwindigkeit ist mehr als dreimal so hoch wie die von Methan, und seine Selbstentzündungsverzögerungszeit ist mehr als dreimal so lang, was ihn zu einem hochreaktiven Brennstoff macht. Dies alles bedeutet, dass die Kontrolle der Flamme zur Aufrechterhaltung der Integrität des Verbrennungssystems und zur Kontrolle der Stickoxidemissionen (NOx) eine echte Herausforderung für die Entwickler darstellt.
Es gibt zwei Hauptkategorien von Verbrennungstechnologien: Dry Low Emission (DLE) und Non-DLE. Bei DLE-Systemen werden Brennstoff und Luft vor der Verbrennung miteinander vermischt, was eine genaue Kontrolle der Verbrennung, der Flammentemperatur und der Bedingungen, die NOx Emissionen verursachen, ermöglicht. Nicht-DLE-Systeme verwenden Diffusionsflammen oder teilweise vorgemischte Flammen, die mit Wasser oder Dampf verdünnt werden müssen, um die NOx Emissionen zu kontrollieren.
Ja und nein. Es gibt hauptsächlich drei Arten von Wasserstoff: grau, blau und grün. Grauer Wasserstoff ist die am wenigsten nachhaltige Form des Wasserstoffs, da er mit Erdgas hergestellt wird und Kohlenstoffemissionen in die Luft freisetzt. Blauer Wasserstoff wird auf die gleiche Weise hergestellt, aber die Kohlenstoffemissionen werden separat aufgefangen und gespeichert. Grüner Wasserstoff hingegen wird durch Elektrolyse mit Wasser und erneuerbarer Energie hergestellt, ohne dass Kohlendioxid freigesetzt wird. Während Gasbrenner also keinen Unterschied zwischen den Farben des verwendeten Wasserstoffs machen, ist grüner Wasserstoff die einzige wirklich nachhaltige Lösung.
Die Nachfrage hat eine rasche Entwicklung von H2 Gasturbinen ausgelöst. Bereits im nächsten Jahr wird die 100-prozentige Wasserstoffverbrennung im HYFLEXPOWER-Projekt in Frankreich demonstriert, dem weltweit ersten integrierten Power-to-X-to-Power-Wasserstoff-Gasturbinendemonstrator mit einer weiterentwickelten SGT-400-Turbine. Siemens Energy geht davon aus, dass bis 2030 Gasturbinen mit 100 Prozent H2 in allen Turbinengrößen kommerziell verfügbar sein werden.
Anstelle von hohen Erzeugungsstundenzahlen müssen H2 Kraftwerke für die Bereitstellung von Reservelast über längere Zeiträume belohnt werden, wenn die Erzeugung schwankender erneuerbarer Energien gering ist. Außerdem muss die Stabilisierung von Stromnetzen, die erneuerbare Energien einfach nicht erbringen können, vergütet werden: zum Beispiel die Bereitstellung von Netzträgheit, Kurzschlussleistung, Frequenzregelung und Blindleistung. Darüber hinaus können Gasturbinenanlagen, die als Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK-Anlagen) gebaut werden, auch Wärme für die Industrie und Fernwärmenetze liefern, wenn zu wenig erneuerbare Energien für den Betrieb von Wärmepumpen vorhanden sind: „Jährliche Reststrom- und Restwärmeperioden werden parallel laufen“, sagt Erik Zindel.
„Wir werden wahrscheinlich von einem reinen Energiemarkt zu einem Kapazitätsmarkt übergehen. Die EU diskutiert dies bereits, aber es muss noch Klarheit geschaffen werden, um Investoren zu finden. Wir gehen davon aus, dass Gaskraftwerke letztlich nur die Strom- und Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien ergänzen werden. Aber auch dann werden sie uns eine flexible Kapazität für unsere Versorgungssicherheit bieten und müssen vergütet werden – vorzugsweise ohne Subventionen.“
Vorbereitet für Wasserstoff:
Da der Markt dies als eine Art Versicherung gegen „Stranded Assets“ ansieht, ist die Bereitschaft für H2 eine Selbstverständlichkeit. Die eigenen F&E-Investitionen von Siemens Energy sind ein Beweis dafür, ebenso wie die deutsche TÜV Süd-Zertifizierung, die Siemens Energy für seine H2 -tauglichen Kraftwerke erhalten hat. „Die Zertifizierung umfasst Anforderungen für alle Bereiche einer Anlage“, sagt Seyller. „Abgesehen von den Turbinen, die noch für den reinen Wasserstoffbetrieb entwickelt werden, ist unser komplettes Anlagenkonzept bereits zu 100 Prozent wasserstofftauglich zertifiziert. Wir wissen noch nicht, wie groß das werden wird. Aber es gibt den Kunden die Gewissheit, dass sich die Vorinvestitionen auszahlen werden.“
„In Wirklichkeit“, so Andreas Pick von der EnBW, „stehen wir wie so viele Energieversorger vor einem klassischen Dilemma. Einerseits wird sich ein neues Kraftwerk nicht amortisieren, andererseits werden wir die Klimaneutralität nicht erreichen, wenn wir weiterhin Erdgas einsetzen. Was liegt also näher, als auf Wasserstoff umzusteigen und diesen Umstieg schon heute vorzubereiten?“
13. September, 2022
Der in den Niederlanden lebende Physiker und Autor Rolf de Vos berichtet seit mehr als 30 Jahren über globale Entwicklungen in den Bereichen Energie und Umwelt. Als einer der ersten Berichterstatter über Klimawandel und Nachhaltigkeit war de Vos auch als Berater für Organisationen wie das niederländische Ministerium für Wirtschaft und Klimapolitik tätig.
Kombinierter Bild- und Videonachweis: Siemens Energy